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Der Geist konstruiert ein willkürliches Muster, das als »Realität« bezeichnet wird und recht unabhängig von dem ist, was die Sinne registrieren.
Die Kogitoren, Fundamentale Postulate
»Unmöglich ist nichts«, hatte das körperlose Gehirn zu ihm gesagt.
In der grauen Stille vor der Dämmerung wälzte sich Iblis Ginjo unruhig auf seinem provisorischen Bett hin und her. Seine Unterkunft befand sich am Rand des Arbeitslagers in der Nähe der Baracken der menschlichen Sklaven. Während des ungewöhnlich warmen Wetters hatte er seine elastische Matratze auf die Veranda des einfachen Bungalows geschafft, den die Neo-Cymeks ihm zur Verfügung gestellt hatten. Er hatte lange wach gelegen, zu den fernen Sternen hinaufgestarrt und sich gefragt, auf welchen noch freie Menschen lebten.
Weit entfernt von hier war es der Liga gelungen, Omnius tausend Jahre lang in Schach zu halten. Iblis hatte sich umgehört, ohne Fragen zu stellen oder sonst wie Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und erfahren, wie die Maschinen Giedi Primus zuerst erobert und dann wieder verloren hatten. Die ungezähmten Menschen hatten die Maschinen vertrieben, den Titanen Barbarossa getötet und einen neuen Omnius zerstört.
Ein unglaubliche Leistung! Aber wie hatten sie es geschafft? Was hatten sie getan, um einen solchen Triumph zu erzielen? Wer hatte sie in den Kampf geführt? Und wie sollte er hier etwas Ähnliches bewerkstelligen?
Erschöpft und müde wälzte Iblis sich erneut herum. Auch den folgenden Tag würde er wieder damit verbringen, Sklaven von niederem Rang zu überreden, sinnlose Arbeiten für ihre maschinellen Herren zu erledigen. Jeder Tag war gleich, und die Denkmaschinen konnte Tausende von Jahren existieren. Wie viel konnte er in der kurzen Zeitspanne eines Menschenlebens leisten?
Doch Iblis ließ sich durch die Worte des Kogitors ermutigen: Unmöglich ist nichts.
Er öffnete die Augen und wollte den bevorstehenden Sonnenaufgang betrachten. Stattdessen sah er eine verzerrte Spiegelung, eine gekrümmte Plexiplazscheibe und rosafarbene organische Konturen, die in einem Behälter mit energiereichem Fluid schwammen.
Er setzte sich unvermittelt auf. Der Kogitor Eklo stand auf den Dielenbrettern seiner Veranda. Neben dem Tank saß der große Mönch namens Aquim, der mit geschlossenen Augen den Oberkörper vor und zurück bewegte und in der Semuta-Trance meditierte.
»Was tun Sie hier?«, fragte Iblis flüsternd. Angst schnürte seine Kehle zu. »Wenn die Cymeks Sie im Lager finden, werden sie ...«
Aquim öffnete die getrübten Augen. »Trustees sind nicht die einzigen Menschen, die für die Titanen sowie für Omnius eine Sonderstellung einnehmen. Eklo möchte direkt zu Ihnen sprechen.«
Iblis schlucke und schaute vom vergrößerten Gehirn im Elektrafluid auf den ausgezehrt wirkenden Mönch. »Was will er von mir?«
»Eklo möchte Ihnen von früheren gescheiterten Revolten der Menschen erzählen.« Er legte eine Hand auf den Konservierungsbehälter und strich über die glatte Oberfläche, als wollte er Vibrationen ertasten. »Haben Sie je von den Hrethgir-Rebellionen gehört?«
Iblis blickte sich verstohlen um. Er konnte kein Wächterauge von Omnius erkennen. »Solche Geschichtskenntnisse sind Sklaven nicht erlaubt, nicht einmal einem Vorarbeiter in meiner hohen Stellung.«
Der Sekundant beugte sich vor, die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Er sprach von Dingen, die er erfahren hatte, ohne direkten Kontakt mit dem Elektrafluid und den Gedanken des Kogitors aufzunehmen. »Es kam zu blutigen Aufständen, nachdem die Titanen sich zu Cymeks konvertiert hatten, aber noch vor dem Erwachen Omnius'. Als sie sich unsterblich fühlten, legten die Titanen eine extreme Brutalität an den Tag. Insbesondere der Titan Ajax, der die überlebenden Menschen so schwer quälte, dass seine Partnerin Hekate ihn verließ und spurlos verschwand.«
»Ajax hat sich im Verlauf der Jahrhunderte nicht sehr geändert«, sagte Iblis.
Aquims gerötete Augen glühten. Eklos Gehirn zitterte in der Nährlösung. »Wegen seiner Brutalität entschieden sich die unterdrückten Menschen zum Aufstand, hauptsächlich auf Walgis, doch die Unruhen griffen auf Corrin und Richese über. Die Sklaven erhoben sich und vernichteten zwei der ursprünglichen Titanen, Alexander und Tamerlan. Die Cymeks reagierten darauf mit noch härterem Durchgreifen. Ajax fand besondere Freude daran, Walgis zu isolieren und dann systematisch jedes menschliche Wesen, das dort lebte, zu eliminieren. Milliarden wurden abgeschlachtet.«
Iblis dachte angestrengt nach. Dieser Kogitor war den weiten Weg aus seinem hohen Turm gekommen, um ihn zu besuchen. Die Tragweite dieser Geste erschütterte ihn. »Wollen Sie mir damit sagen, dass eine Revolte gegen die Maschinen möglich oder zum Scheitern verurteilt ist?«
Der große Mönch griff mit einer rauen Hand nach Iblis' Arm. »Eklo wird es Ihnen selbst sagen.«
Iblis verspürte Unbehagen, doch bevor er sich wehren konnte, hatte Aquim die Fingerspitzen des Vorarbeiters ins zähe Elektrafluid getaucht, in dem das uralte Gehirn des Kogitors schwamm. Die Flüssigkeit fühlte sich für Iblis zunächst eiskalt und dann heiß an. Seine Hand kribbelte, als würden tausend winzige Spinnen über seine Haut krabbeln.
Plötzlich konnte er Gedanken, Worte und Eindrücke spüren, die von Eklo direkt in seinen Geist flossen. »Die Revolte scheiterte, aber es war ein ruhmreicher Versuch!«
Iblis empfing eine weitere Botschaft, diesmal ohne Worte, aber dennoch mit Bedeutung, wie in einer Epiphanie. Es war, als hätte sich ihm die Majestät des Universums geöffnet. Es war so vieles, das er bisher nicht verstanden hatte ... so vieles, das Omnius den Sklaven vorenthielt. Er fühlte eine tiefe Ruhe und tauchte die Hand noch weiter in die Flüssigkeit. Seine Fingerspitzen berührten ganz leicht das Hirngewebe des Kogitors.
»Du bist nicht allein.« Eklos Worte hallten durch seinen Kopf. »Ich kann dir helfen. Aquim kann dir helfen.«
Eine Weile blickte Iblis auf den Horizont, wo die goldene Sonne aufging und ihr Licht auf die versklavte Erde warf. Nun betrachtete er die Geschichte der gescheiterten Revolution nicht mehr als Warnung, sondern als Zeichen der Hoffnung. Ein besser organisierter Aufstand könnte Erfolg haben, wenn er vernünftig geplant wurde. Und wenn es einen geeigneten Anführer gab.
Iblis, der in seinem bisherigen Leben keinen tieferen Sinn und keine Bedeutung gesehen hatte, der lediglich den Luxus seiner Stellung als Trustee der Maschinen genossen hatte, empfand nun einen tief sitzenden Zorn. Die Offenbarung erfüllte sein Herz mit Leidenschaft. Der Mönch in seiner Semuta-Trance schien dasselbe zu spüren.
»Unmöglich ist nichts«, sagte Eklo.
Erstaunt zog Iblis die Hand aus dem energiegeladenen Fluid zurück und starrte auf seine Finger. Der große Mönch hob den Gehirnbehälter des Kogitors und versiegelte ihn. Er drückte den Zylinder an die Brust und machte sich zu Fuß auf den Rückweg in die Berge, während Iblis noch unter den Visionen taumelte, die seine Seele überflutet hatten.